Der Onlinehändler Amazon erzielte im dritten Quartal weniger Gewinn, dafür aber deutlich mehr Umsatz. Während sich kurzfristig orientierte Anleger von der Aktie trennten, griffen langfristig ausgerichtete Investoren zu.
Am vergangenen Donnerstag nach US-Börsenschluss öffnete der US-Onlinehändler Amazon seine Bücher und legte die mit Spannung erwarteten Zahlen für das dritte Quartal des laufenden Geschäftsjahres vor. Die Marktteilnehmer zeigten sich zunächst schwer enttäuscht von den Ergebnissen. Der operative Gewinn schmolz gegenüber dem Vorjahr um etwa 14 Prozent auf 3,2 Milliarden US-Dollar. Der Nettogewinn verfehlte mit 2,1 Milliarden Dollar den Wert des Vorjahres sogar um etwa 28 Prozent, womit Amazons Quartalsgewinn im Jahresvergleich erstmals seit 2017 wieder sank. Und auch beim Ausblick für das laufende vierte Quartal traf der Onlinehändler mit seinen Prognosen nicht die Erwartungen des Marktes. Der operative Gewinn soll zwischen 1,2 und 2,9 Milliarden Dollar liegen, nach 3,8 Milliarden Dollar im Vorjahr. Zudem rechnet Amazon mit Umsätzen zwischen 80 und 86,5 Milliarden Dollar – der Markt ging zuvor im Schnitt von 87,37 Milliarden Dollar aus. Kurzfristig denkende Investoren trennten sich daraufhin von der Amazon-Aktie, die im nachbörslichen US-Handel in der Spitze um 9 Prozent einbrach.
Jahrelang mussten die Anleger auf Gewinne beim Onlinehändler verzichten, da dieser fast jeden Cent wieder in weiteres Wachstum investierte. Zuletzt ließen die Investitionen jedoch etwas nach, was gleich für kräftige Gewinne sorgte. Die Enttäuschung über die jüngsten Zahlen war deshalb so groß, weil sich die Anleger in den vergangenen Quartalen bereits an schöne Gewinnsteigerungen gewöhnt hatten. Doch Amazon hat die Gewinnerwartungen nicht verfehlt, weil der Handelsstreit zwischen den USA und China das Geschäft zu sehr belastete oder weil die Kaufbereitschaft der Kunden stark nachließ. Der Gewinn ging zurück, weil Amazon wieder stark in weiteres Wachstum investierte. Amazon-Chef Jeff Bezos denkt, schnellere Lieferzeiten seien der Schlüssel, um auch die weniger gutverdienenden Haushalte zu Amazon zu locken. Seiner Meinung nach liegt ein Vorteil des herkömmlichen Einzelhandels darin, dass die Kunden die Ware dort gleich mitnehmen können. Diesen Wettbewerbsnachteil versucht Bezos nun mit aller Macht zu bekämpfen, indem er Milliarden in die Logistik steckt. Amazon investiert wieder verstärkt in Umschlagzentren, Flugzeuge, Fahrzeuge, Lieferroboter und Drohnen. Bezos Ziel: Ein Kunde bestellt und hat die Ware bereits wenige Stunden später bei sich.
Die jüngste Investitions-Offensive zielt darauf ab, den im Onlinehandel immer stärker werdenden Einzelhandels-Riesen Walmart zu attackieren. Dass sich die Strategie auszuzahlen scheint, zeigen die Umsätze im dritten Quartal, die im Vergleich zum Vorjahr um 24 Prozent auf rund 70 Milliarden Dollar kletterten und damit deutlich über den Markterwartungen lagen. Langfristig ausgerichtete Investoren nutzten die kurze Schwächephase, um weiter in den bereits größten Onlinehändler der Welt zu investieren. Die Aktie ging am Freitag letztlich nur mit einem Minus von rund 1 Prozent aus dem Handel. Am Montag ging es um fast 1 Prozent aufwärts, womit der Kurseinbruch nahezu neutralisiert wurde.
Charttechnisch drohte die Aktie am vergangenen Freitag unter das September-Tief bei 1.685 US-Dollar oder sogar das Juni-Tief bei 1.672 Dollar zu fallen, womit sich das Chartbild erheblich getrübt hätte. Doch die Aktie konnte den Kopf noch einmal aus der Schlinge ziehen. Allerdings ist die Gefahr noch nicht gebannt. Für Entspannung könnte die Rückeroberung der 200-Tage-Linie sorgen, die aktuell bei etwa 1.799 Dollar verläuft. Danach würde sich zunächst weiteres Kurspotenzial bis zum Zwischenhoch vom September bei 1.853,66 Dollar eröffnen. Kann auch diese Hürde gemeistert werden, könnte das Jahreshoch vom Juli bei 2.035,80 Dollar angesteuert werden, ehe das Allzeithoch vom September 2018 bei 2.050,50 Dollar in den Fokus rücken würde.